«Wir sind parat, die Geflüchteten zu integrieren»

Die SVP will das Erlenmatt-Quartier wegen 25 unbegleiteten minderjährigen Asylbewerbern zum Crime Hotspot stilisieren. Anwohnende protestieren gegen das Framing.

Erlenmattareal
Das Erlenmatt Areal. In der Mitte ist der Erlenmattplatz, auf dem das provisorische Asylzentrum entsteht. (Bild: zvg)

Obdachlose im Haus und Drogenspritzen im Keller – was sich wie eine Blick-Überschrift liest, ist auch tatsächlich eine. Das Boulevardmedium besuchte im Januar das Basler Erlenmatt-Areal und zeichnete ein Bild von Zuständen, die «einem Familienquartier unwürdig sind». Ein Quartier, in dem man sich nicht sicher fühlt. So wurde Laetitia Block zitiert, Basler SVP-Vizepräsidentin und ebenfalls in dem Kleinbasler Quartier zuhause. 

Block stand nun auch am Anfang einer Empörungswelle über das neue temporäre Asylzentrum auf dem Erlenmattplatz, das vergangene Woche eingeweiht wurde. Im Zuge der Eröffnung äusserte sich zudem SVP-Parteipräsident Pascal Messerli im Interview mit der bz zum Erlenmatt-Quartier. Die Anwohner*innen würden sich nicht mehr raustrauen, die Post werde geklaut, überall lägen Spritzen rum. Die SVP nehme die Sorgen der Anwesenden in «dem Problemquartier» ernst, sagt Messerli gegenüber Bajour.

Kontroverse um das Asylzentrum Erlenmatt

Anfang Juni wurde die temporäre Wohnmodulsiedlung mit zusätzlichem Schulbau für Geflüchtete auf dem Erlenmattplatz eröffnet. Bei voller Auslastung hat das Asylzentrum Platz für 140 Personen, doch aktuell wird laut Medienmitteilung des Kantons auf eine Vollbelegung verzichtet. So werden vorerst 100 Geflüchtete untergebracht, 75 davon aus der Ukraine sowie auch der Türkei, Syrien und Afghanistan und 25 unbegleitete minderjährige Asylsuchende (effektiv handelt es sich aktuell gemäss BaZ um 15). 

Kritisiert wird, dass entgegen der ursprünglichen Pläne nicht ausschliesslich ukrainische Geflüchtete untergebracht werden sollen – schliesslich hatte der Kanton die Siedlung genau für diese Gruppe geplant, als die Prognosen noch einen starken Zuwachs aus der Ukraine voraussagten. Statt Ukrainer*innen kämen jetzt junge Männer, von denen statistisch ein hohes Kriminalitätspotenzial ausgehe.

Dass die SVP das Erlenmatt-Areal so darstellt, gefällt nicht allen im Quartier. Zumindest im Erlenmatt Ost, wo die Genossenschaftsbauten der Stiftung Habitat stehen, fühlt man sich nicht, als würde man in einem Problemquartier leben, wie mehrere Anwohner*innen bestätigen. Kathrin zum Beispiel sagt: «Ich kenne niemanden, der von hier wegziehen will. Alle wollen um jeden Preis hier bleiben, die Identifikation mit dem Quartier ist stark.»

Sie erzählt, dass sie täglich mit den Kindern im Park sei. Dass eine Spritze im Sandkasten gefunden wurde, davon habe ihr nur vor vielen Jahren ein einziges Mal eine Nachbarin erzählt. Auch Anwohnerin Franca zeichnet ein Bild von einem belebten Quartier, wo Hühner gackern und die Bewohner*innen solidarisch zusammenleben.

«Die SVP instrumentalisiert eine unbegründete Angst. Natürlich gibt es Konflikte auf dem Erlenmatt, aber nicht mehr als in anderen Quartieren.»
Franca, Anwohnerin Erlenmatt Ost

Das klingt nach heiler Welt, doch wo ist nun das SVP-Problemquartier? Die Blick-Reportage bezieht sich denn auch auf die andere Seite des Parks, das sogenannte Erlenmatt West. Das Publikum hier ist ein anderes: Keine Genossenschaftswohnungen, eher Ausländer*innen und Expats, wie Anwohner Steven Tirrito erklärt.

Tirritio ist Teil der «Ambassadoren», einer Gruppierung, die im Erlenmatt West Events und ein Quartiercafé veranstaltet. Die Ambassadoren sind sowas wie der Quartierverein, sie stehen im Austausch mit den Behörden, der Stadtgärtnerei und sind auch im Kontakt mit der Anlaufstelle der Suchtberatung K+A. Da diese sich am Riehenring direkt ums Eck befindet, findet sich auch ein Teil der Drogenszene auf dem Erlenmattplatz.

Die Blick-Reportage, so Tirrito, sei dennoch «too much» gewesen, «ein paar rebellische Leute, die nur das Negative sehen». Die K+A werde tatsächlich von vielen im Quartier kritisch betrachtet. Dass der Diebstahl von Velos und Paketen zugenommen habe, würden einige mit der Drogenszene in Verbindung bringen.

Spritzenfunde im Erlenmatt

«Überall liegen Spritzen», sagt Pascal Messerli (SVP) im bz-Interview. Er schlägt vor, dass zweimal pro Tag die Spritzen auf der Wiese im Erlenmattpark entfernt werden. Auf Anfrage erklärt Regine Steinauer von der Abteilung Sucht des Basler Gesundheitsdepartements, dass die Anzahl Materialfunde im Jahr 2022 im Erlentmattquatier auf einem tiefen Niveau gewesen seien. Fast alles gebrauchte Spritzenmaterial im öffentlichen Raum werde im unmittelbaren Umfeld der K+A Riehenring und Dreispitz gefunden und durch das sogenannte «Sprütze-Wäspi» entsorgt – bei regelmässigen Touren oder auf Hinweis der Bevölkerung.

* Diese Information war in der ursprünglichen Fassung des Artikels nicht erhalten und wurde nachträglich ergänzt.

Diese Beschwerden hört man auch beim Stadtteilsekretariat Kleinbasel, bestätigt Leiterin Theres Wernli. Das Erlenmatt-Areal steche in dieser Hinsicht nicht heraus, es sei «ein Stück Stadt wie jedes andere auch». Die Probleme dort treten auch sonst in urbanen Räumen auf, sagt sie. Und auch Tirrito erzählt: «Die Polizei sagt uns, dass das Erlenmatt bei weitem nicht das kriminellste Quartier in Basel ist.»

Dennoch: Es gibt Unmut über den Status Quo und auch über die Art und Weise, wie das Asylzentrum angekündigt wurde. «Auch das K+A war zunächst ein Provisorium, deshalb haben viele Angst, dass auch die Geflüchtetenunterkunft permanent bleiben wird», meint Tirrito. Fünf Familien, sagt er, seien bereits ausgezogen.

«Wir wollen einfach Sicherheit im Quartier. Jetzt fühlt es sich so an, als würden wir neben der K+A halt auch noch ein Asylzentrum bekommen.»
Steven Tirrito, Anwohner Erlenmatt West

Doch Tirritio versteht auch, dass der Kanton sich gezwungen sah, auf die Prognosen des Bundes hin ein neues Asylzentrum zu planen. Dass der Kanton eine enge Betreuung der Geflüchteten versprochen hat, wolle man beim Wort nehmen. Vor allem aber: «Wir sind parat, die Geflüchteten zu integrieren. Dazu brauchen wir aber die Unterstützung des Kantons.» Auch Theres Wernli sagt, sie habe keine Bedenken, dass im Erlenmatt das Engagement fehlen würde, um mit dem Asylzentrum klar zu kommen.

* Diese Information war in der ursprünglichen Fassung des Artikels nicht erhalten und wurde nachträglich ergänzt.

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David Rutschmann

Bei Bajour als: Junior Redaktor, zuvor Trainee

Davor: Als Lokaljourni am Hochrhein (Südkurier, Badische Zeitung, Aargauer Zeitung) rumgehüpft, aber auch bei der taz in Berlin und beim Wissenschaftsmagazin higgs (RIP 😭)

Kann: täglich mindestens eine Spongebob-Referenz in eine Konversation einbauen

Kann nicht: sich kurz halten. Ein Glück gibt es online keine Längenvorgaben

Liebt an Basel: Ich kenne den Rhein als Grenzgewässer, durch den eine unsichtbare Wand geht, aber hier umarmt ihn die komplette Stadt und das wirkt verbindend

Vermisst in Basel: Berge. Nicht zum Wandern (uff), einfach weil sie mächtig aussehen.

Interessensbindung: keine

Kommentare

Ueli Vogel
06. Juni 2023 um 15:59

Zuerst, ich wohnte mehr als 40 Jahre im Hirzbrunnenquartier. In dieser Zeit wurde ich einmal überfallen und zweimal im gleichen Jahr wurde mir das Velo gestohlen. Auch kann ich mich an einige Hauseinbrüche erinnern. Das Hirzbrunnen deshalb als unsicher zu bezeichnen, ist absurd. Seit sieben Jahren wohne ich im Erlenmatt West. Auch hier gab es einen Einbruch und nicht alles ist 100%. Aber deshalb Erlenmatt als Problemzone zu betrachten, ist an den Haaren herangezogen.

Die Verurteilung einzelner Volksgruppen zerstört das Vertrauen in die Zukunft, zerstört das Zusammenleben und führt zu Kriegen. Heute sind es einzelne Exponenten der SVP, die Ausländer und Flüchtlinge beschuldigen. Leider verfängt dies immer noch, wie die Ergebnisse bei Wahlen und Abstimmungen zeigen.

Mein Vorschlag ist, die Ressourcen der Flüchtlinge zu nutzen, sie auszubilden und die Berufslehre machen zu lassen. Wenn sie nach dieser Zeit zurückgehen, hilft es dem Herkunftsland; bleiben sie in der Schweiz, helfen sie beim Problem Fachkräftemangel weiter. Ausgrenzen hilft nicht, aber sie müssen von Beginn an gefordert werden, damit sie ihren Beitrag leisten.