Energiewende in der Pipeline 

Während Deutschland und Frankreich derzeit Wasserstoff-Pipelines ausbauen, möchte Basel den Rhein als Transportort für grünen Treibstoff nutzen. Ein Forum versucht nun, die unterschiedlichen Positionen einander näher zu bringen. 

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Am Standort Grenzach-Wyhlen soll Süddeutschlands grösste Anlage für grünen Wasserstoff errichtet werden. (Bild: Energiedienst)

Für Winfried Kretschmann, den einflussreichen Grünen-Politiker und Ministerpräsident von Baden-Württemberg, braucht «die Energiewende auch grünen Wasserstoff aus der Pipeline», wie er bei einem Besuch in Lörrach Anfang April sagte. Und seit vergangener Woche ist klar, dass deutsche Versorger die erste Leitung für Wasserstoff am Hochrhein, dem zwischen Bodensee und Basel gelegenen Abschnitt des Rheins, verlegen. Das Bundesland Baden-Württemberg unterstützt die geplante Leitung mit mehreren Millionen Euro. Doch diesem zügigen Pipeline-Anschluss droht in die Quere zu kommen, dass Basel bisher die Energiepläne der Schifffahrt forciert hat. Am Dienstag soll das Wasserstoff-Forum der Trinationalen Wasserstoff Initiative 3H₂ die widerstreitenden Interessen aussortieren helfen.

Aber beginnen wir von vorne: Einen Verteilstrang, der 8000 Tonnen grünen Wasserstoff aus dem Rheinkraftwerk Albbruck aufnehmen und an die Industrie verteilen soll, planen bis 2026 BadenovaNetze in Freiburg/Breisgau und der Energie-Multi RWE: «Die neue Trasse soll das Rückgrat der zukünftigen Wasserstoffversorgung entlang des Hochrheins bilden.» Gleichzeitig soll die Anbindung an die europäische und nationale Wasserstoff-Infrastruktur ermöglicht werden. Frankreich und Berlin vereinbarten, dass die geplante Pipeline H2Med von Spanien und Portugal von Marseille bis Deutschland geführt wird.

Eine Wasserstoffbrücke

«Möglich» und «auch in Prüfung» sei ein Ausbau der Infrastruktur in westlicher und östlicher Richtung «bis ins Dreiländereck», so RWE, für eine grenzübergreifende Vernetzung und Anbindung an ein parallel entstehendes Schweizer Wasserstoffnetz. «Vorgesehen ist eine Anbindung an das Schweizer Netz durch eine infrage kommende Rheinquerung» - nur, davon weiss noch niemand hierzulande.

«Die Energiewende braucht auch grünen Wasserstoff.»
Winfried Kretschmann, Grünen-Politiker und Ministerpräsident von Baden-Württemberg

Es gibt in der Schweiz zwar eine Menge Einzelinitiativen, aber kein koordiniertes Vorgehen. Und eine Rheinquerung bräuchte ein strategisches Vorgehen der Schweiz wie zum Beispiel in Baden-Württemberg, aber dazu gibt es zu viele widerstreitende Einzelinteressen. Stattdessen gibt es beispielsweise politischen Tumult über einen wenig wahrscheinlichen Flüssiggas-Schiffsanleger in Muttenz des Gasverbunds Mittelland.

Ein bisher unausgesprochenes Dilemma, das einem raschen Anschluss ans europäische Wasserstoffnetz zusätzlich im Weg steht, sind die Rheinhäfen beider Basel. Während Deutsche und Franzosen auf Pipelines absetzen, betonte der Basler Regierungsrat Kaspar Sutter an der Gründerversammlung von 3H2 im letzten Juni, «es gilt auch den Rhein als neuen Transportort für Wasserstoff und für andere grüne Treibstoffe zu nutzen». Denn hier stehen viele Einnahmen und Arbeitsplätze auf dem Spiel und die Schweiz kann den Rhein sozusagen «neutral» nutzen, was eine gewisse Unabhängigkeit erlaubt.

Hydrogen-Farbenlehre
Farbenlehre des Wasserstoffs

Klimaneutraler Wasserstoff ist nur der grüne, der aus neuer erneuerbarer Energie wie Wind- und Solarstrom erzeugt wird; je nach Optik fällt auch Wasserstoff aus Wasserkraft in diese Kategorie. Die orange-gelbe Variante stammt aus Biomasse oder Biogas. Der heute übliche Wasserstoff ist grauer Wasserstoff aus Erdgas, er stammt von fossilen Energieträgern und ist das Gegenteil seiner grünen Variante; oder aus grau wird blau, wenn das dabei anfallende CO2 eingefangen und z.B. eingelagert würde, was noch Zukunftsmusik ist. Dann gibt es die türkise Variante, wenn der Abfall (Abgas) als fester Kohlenstoff umgewandelt wird. 

Roter Wasserstoff wird mit Atomstrom gewonnen. Der braun/schwarze stammt aus Braun- und Steinkohle. Umstritten ist, ob neben grünem, «solaren Wasserstoff» die graue Variante generell oder übergangsweise Sinn macht. Wasserstoff erfreut sich neuer Beliebtheit, weil Sonnen- und Windenergie theoretische grosse Überschüsse produzieren, die per Elektrolyse mit Wasser zu Wasserstoff umgewandelt werden können, der sogenannten Power-to-gas-Technik. Der «Brennstoff» Wasserstoff, ein 14 mal leichteres Gas als Luft, erzeugt wiederum in einer Brennstoffzelle Strom, um etwa ein Auto anzutreiben. Wasserstoffautos sind also eigentliche Elektroautos, nur ohne Batterie, stattdessen mit Brennstoffzelle. Wasserstoff könnte auch dem Erdgas beigemischt werden, um beispielsweise weniger fossiles Gas zu verbrauchen. Bei der «Verbrennung» entsteht wiederum Wasser. Der Knackpunkt im Vergleich zur Batterie: Die Herstellung kostet viel Strom – und macht nur dann energiewirtschaftlich Sinn, wenn es sonst keine Verwendung für Strom gibt. 

Je mehr Wasserstoff per Pipelines über den Rhein gelangt, desto schwieriger aber wird es für die Häfen. Deshalb brachten sich die Schiffer proaktiv mit einem «H2-Hub-Schweiz» ins Spiel: Wasserstoff per Schiff und Container würde das Frachtvolumen, so die Rechnung, aufrechterhalten. Heute leben sie vom Erdölumschlag in Birsfelden und Muttenz. Mit der Energiewende würden die Terminals überflüssig.

Schwierige Gemengelage

Die Akteure des grünen Wasserstoffs stehen also vor einer schwierigen Gemengelage und hoffen auf Durchblick: «Wir versprechen uns von der Tagung eine Klärung der Ausgangslage», sagt Erik Rummer, Pressesprecher der Industriellen Werke Basel (IWB). Sie sind wichtiger Akteur der Trinationalen Wasserstoff-Initiative und von der weiteren Entwicklung abhängig. Wenn nach dem Erdgas-Ausstieg ein «strategisches» oder «Rest-Gasnetz» in Basel für die Industrie weiterbetrieben werden soll, wird es nur mit Wasserstoff gehen.

Bisher beteiligen sich die IWB am Projekt der südbadischen Energieversorgerin Energiedienst, die beim Rheinkraftwerk Augst-Wyhlen eine Anlage aufbaut. Hier geht es um kleine Mengen, aber IWB verspricht sich erstes Lernen davon. Der durch den Erdgas-Ausstieg provozierte Handlungsdruck verschärft die Problemstellung Pipeline versus Schifffahrt weiter: Wasserstoff in grossen Mengen aus Überschussenergie aus dem Süden Europas und windreichen Norden ist absehbar günstiger – denn ein Kilogramm Wasserstoffgas braucht zu seiner Herstellung etwa 56 Kilowattstunden.

Einheimischer Grüner Wasserstoff aus Überschuss-Strom? Das Gegenteil ist der Fall: Bis auf Weiteres bleibt der Strom im Winter knapp in der Schweiz; denn Solarstrom, geschweige denn die mickrige Windenergienutzung der «verschlafenen Energiewende», so zum Beispiel der Energieexperte Thomas Nordmann, erzeugt «kein Kilowättchen» Überschuss. Die eigene Elektrizität unter diesen Umständen in Wasserstoff umzuwandeln, würde die für Verbraucher*innen heute schon Milliarden Franken teure Zusatzkosten verursachende Winterstromlücke weiter verschärfen und weitere Notstrom-Dieselkraftwerke wie in Birr (AG) erfordern.

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