Letzte Chance auf Bleiberecht für Anouchkas Mutter

Nach 26 Jahren in der Schweiz droht Anouchka Gwens Mutter aus dem Baselbiet die Wegweisung. Auch das Bundesgericht hat den Rekurs abgelehnt, jetzt bleibt der Kongolesin nur noch der Gang an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Anouchka Gwen
Anouchka Gwen wehrt sich gegen die geplante Wegweisung ihrer Mutter: «Armut ist kein Verbrechen.» (Foto: Daniel Faulhaber) (Bild: Daniel Faulhaber)

Es ist ein verzweifelter Hilfeschrei an die Öffentlichkeit, «die letzte Hoffnung», wie Tonja Zürcher von der Basta sagt. Die Linkspartei ist Mitunterstützer*in der Petition «Armut ist kein Verbrechen», welche die Wegweisung von Mudza E. aus dem Kanton Basel-Landschaft verhindern will. Knapp 7000 Personen haben das Schreiben an das Baselbieter Migrationsamt bereits unterzeichnet. Die Unterzeichner*innen finden es unmenschlich, dass die Kongolesin mit Aufenthaltsbewilligung B die Schweiz nach 26 Jahren verlassen soll, weil sie Sozialhilfe bezieht und 30’000 Franken Schulden hat. 

Die 57-jährige Mudza E. ist Mutter zweier Töchter – seit ihrer Scheidung im Jahr 2015 alleinerziehend, was sie in prekäre Lebensumstände gebracht hat. Die ältere Tochter ist die aufstrebende Musikerin Anouchka Gwen, geboren 1997, die den Fall vor knapp einem Jahr über ihren Instagram-Kanal öffentlich gemacht hatte (Bajour berichtete). Das Video ging innerhalb weniger Tage viral. Auch die SP Schweiz verbreitete Gwens Geschichte auf ihrem Instagram-Account und schrieb dazu: «Wer keinen Schweizer Pass besitzt und unverschuldet Sozialhilfe bezieht, kann derzeit selbst nach vielen Jahren aus der Schweiz weggewiesen werden.» Die Empörung war (und ist) gross.

Bundesgericht lehnt Rekurs ab

Das Baselbieter Migrationsamt, welches die Wegweisung 2021 ausgesprochen hatte, sieht dies anders. In dem Schreiben heisst es, Mudza E. hätte sich hartnäckiger um Jobs mit höherem Pensum bemühen müssen. Gemäss ihrem Anwalt Alfred Ngoyi Wa Mwanza gestaltete sich die Arbeitssuche mit einer B-Bewilligung jedoch schwierig. Seit Oktober 2021 hat sie allerdings eine neue Teilzeitstelle, die Prognose auf Unabhängigkeit von der Sozialhilfe schätzt er deshalb als gut ein. Die wirtschaftlichen Defizite lassen sich durch die soziale Integration offenbar aber nicht ausgleichen – in dem früheren Bajour-Beitrag erzählt die Tochter, ihre Mutter habe Freund*innen, besuche die Kirche, feiere den 1. August und gehe an die Fasnacht. 

«Wir bleiben stark und werden die Sache neu lancieren.»
Anouchka Gwen

Wie das Baselbieter Migrationsamt sieht es auch der Regierungsrat; er wies die erhobene Beschwerde der Familie noch 2021 zurück. Und auch das Bundesgericht lehnte den Rekurs Mitte Dezember des letzten Jahres ab. Anwalt Ngoyi Wa Mwanza schreibt auf Anfrage: «Das bedeutet, dass Frau Mudza E. die Schweiz verlassen muss.» Weil eine Petition kein Rechtsmittel ist, rechnet er sich wenig Chancen auf Verbleib aus: «Eine Petition kann den Vollzug der Wegweisung nicht stoppen.»

Die einzige Chance, die Mudza E. noch hat: Sie kann eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) oder der Uno einreichen – wegen einer möglichen Verletzung des Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Dieser Passus schützt das Recht auf Privatleben von Familien in Asylverfahren. Doch der Umstand, dass die Mutter eine Stütze für die Tochter ist und eine Trennung der beiden für die Tochter nicht einfach wäre, begründet laut dem Baselbieter Migrationsamt noch keinen Anspruch aus dem Artikel. Es schreibt ausserdem: «Die Betroffene (die Mutter, Anm. d. Red.) kann auch von der Demokratischen Republik Kongo aus mittels Telefongesprächen der Tochter Anweisungen, Halt und Orientierung geben.» 

Russisches Roulette

Die Familie zieht nun zumindest in Erwägung, an eine internationale Beschwerdeinstanz zu gelangen. Auf ihrem Instagram-Account schreibt Gwen dazu: «Wir bleiben stark und werden die Sache neu lancieren.» Medien-Interviews gibt sie derzeit aufgrund fehlender Kapazitäten keine.

Expert*innen schätzen die Chancen, durch eine Beschwerde das Bleiberecht zu erlangen, zwar als naturgemäss klein ein, doch aber als intakt: Die strenge Schweizer Praxis bei Abschiebungen aufgrund von Armut und Bezug von Sozialleistungen sei im europäischen Kontext doch einzigartig. Die internationalen Instanzen seien allerdings schwierig einzuschätzen: Strasbourg sei russisches Roulette. 

Ein allfälliger Prozess bräuchte aber nicht nur Energie, sondern wäre auch kostspielig. Unter dem Hashtag #PlanB für Mudza E. wird neben der Petition derzeit auch Geld gesammelt, um die Betroffene finanziell zu unterstützen. Bezahlt werden sollen unter anderem die Anwaltskosten, die sich bereits auf rund 3000 Franken belaufen. Es sollen zudem Aktionen im Namen von Mudza E. durchgeführt werden. So findet kommenden Samstag, am 11. Februar, im Dachstock der Berner Reitschule eine Solidaritätsveranstaltung statt, an der auch Gwen mit ihrer Band auftreten wird.  

«Der Fall zeigt die Auswirkungen des restriktiven Asylwesens, das an der Lebensrealität der Menschen vorbeigeht.»
Samira Marti, SP-Nationalrätin

Das verschärfte Ausländergesetz, welches Mudza E. zum Verhängnis geworden ist, ist erst seit 2019 in Kraft, und die Artikel 62 und 63 sind politisch umstritten. Die Baselbieter SP-Nationalrätin Samira Marti hat 2020 einen Vorstoss dagegen eingereicht, den auch bürgerliche Politiker*innen unterzeichnet haben, darunter der Basler Alt-Nationalrat Christoph Eymann (LDP). Der Nationalrat stimmte dem Anliegen vergangenen September zu, am 21. Februar berät nun die Staatspolitische Kommission des Ständerates.

Die Geschichte stimmt Marti traurig: «Der Fall zeigt die Auswirkungen des restriktiven Asylwesens, das an der Lebensrealität der Menschen vorbeigeht.» Und weiter: «Jeder Mensch mit so einer Biografie wie Mudza E. bräuchte Unterstützung.» LDP-Politiker Eymann meint heute dazu: «Ich fände eine Korrektur der geltenden Regelung nötig und wichtig.» Zum aktuellen Fall möchte er sich nicht äussern.

Kein Happy End in Sicht

Trotz allem Engagement: Derzeit ist für Mudza E. kein Happy End in Sicht. Doch es gibt sie, die Geschichten mit einem positiven Schluss. So kämpfte beispielsweise in Langenbruck ein ganzes Dorf für eine Familie, die nach Tunesien ausgeschafft werden sollte. Letzten Endes bewilligte der Bund das Härtefallgesuch, die bz berichtete. Doch derartige Erfolgsgeschichten sind nur bedingt vergleichbar mit dem Fall Mudza E.; ein Härtefallgesuch hat sie bereits gestellt, dieses wurde 2011 gutgeheissen. Es wäre möglich, ein zweites Gesuch zu stellen, doch die Chancen stünden zum jetzigen Zeitpunkt schlecht, weil das Bundesgericht erst gerade geurteilt hat.  

Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass der Kanton seine Meinung noch ändert, dafür könnte er beispielsweise die jüngsten Arbeitsbemühungen von Mudza E. neu bewerten. Anders als die Unterstützer*innen rund um Mudza E. dürfte dieser jedoch kaum ein Interesse daran haben, dass ein allfälliges Umdenken mediales Aufsehen erregt. 

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