Was macht eigentlich die Basler Mitte?

In Baselland und Zürich hat die Mitte vorwärts gemacht. In Basel-Stadt ist es still um die Partei. Was kann sie von den Baselbieter*innen lernen? Eine Analyse.

Die Mitte Basel Stadt
Die Klammer im Mitte-Logo soll symbolisieren, dass die Partei die Schweiz zusammenhält. Kann sie das bei 6 Prozent Wähler*innenanteil auch in Basel für sich beanspruchen? (Bild: Collage: David Rutschmann; Bilder: Ronin Brewer/Unsplash, Die-Mitte-Logo)

Man könnte meinen, es läuft gut für die Mitte. Der Auftakt ins Wahljahr 2023 hat schonmal positive Akzente gesetzt: Bei den kantonalen Wahlen im Baselbiet konnte die Partei zwei Sitze hinzugewinnen, in Zürich sogar drei.

In Basel-Stadt hingegen ist es ruhig um die Mitte, vormals CVP. Seit Markus Lehmann 2015 als Nationalrat abgewählt wurde, hört man wenig von der Partei. Lukas Engelberger als Gesundheitsdirektor ist ein Glücksfall – als Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz hat er «Pandemie sei dank» nationale Ausstrahlung.

Und sollte Engelberger mal zurücktreten? Der Platz der Mitte in der Regierung sei unbestritten, sagt der aktuelle Präsident Balz Herter zu Bajour. Wer sich bei anderen Parteien aus dem bürgerlichen Lager umhört, merkt: So unbestritten ist dieser in Anbetracht des Wähler*innenanteils nicht: Bei den letzten kantonalen Wahlen im 2020 betrug dieser  6,3 Prozent. Und selbst ein Parteikollege aus dem Baselbiet gesteht Bajour ein, dass es künftig nicht einfach werde, den Sitz zu verteidigen.

Balz Herter

«Das C war für einige ein Hinderungsgrund, um in die Partei einzutreten.»

– Balz Herter, Präsident Mitte Basel-Stadt

Die Basler Mitte-Mitglieder selbst geben sich dennoch optimistisch. Man erhofft sich, vom Namenswechsel zu profitieren: Im reformierten Stadtkanton habe die christliche Ausrichtung der «christlichen Volkspartei» spätestens seit den 90ern sowieso eine kleinere Rolle gespielt als andernorts – die konfessionskonformen Zeiten, als man politische Heimat der katholischen Diaspora war, sind lange vorbei.

«Das C war für einige ein Hinderungsgrund, um in die Partei einzutreten», sagt Herter und verweist auf steigende Mitgliederzahlen seit dem Namenswechsel. Auch Beatrice Isler, ehemalige Mitte-Grossrätin aus dem Gundeli und Präsidentin der Mitte-Frauen, bestätigt, dass es heute einfacher sei als früher, die Listen für die Bürgergemeindewahlen zu füllen.

Gut gefüllte Listen sind aber noch kein sicherer Wahlerfolg. Personenwahlen werden durch Sympathien, durch gefühlte Kompetenz, kurzum durch Sichtbarkeit entschieden. Der Mitte-Politiker aus dem Baselbiet, der anonym bleiben möchte rät deshalb auch seinen Stadtbasler Kolleg*innen zu bekannten Gesichtern mit klaren Positionen.

Dass sich bekannte Gesichter auszahlen, zeigte sich bei vergangenen Wahlen. Beatrice Isler und Balz Herter beispielsweise erhielten immer viele Panaschierstimmen, wurden also auf Listen fremder Parteien dazugeschrieben. Die Wählbarkeit einzelner Personen, die sonst nicht Mitte wählen, kann aber auch ein Nachteil sein: Man weiss am Ende nicht, was man kriegt, wenn man die Mitte wählt.

sotomo
Keine Fraktion ist breiter auf dem politischen Spektrum verteilt als die Mitte/EVP.

Das vom renommierten Politikforschungsinstitut Sotomo für Bajour erstellte Grossratsrating zeigt, dass in keiner Fraktion das politische Spektrum so breit ist wie bei der Mitte: Der Riehener Mitte-Grossrat Daniel Albietz zum Beispiel fügt sich stabil rechts der FDP bei der LDP ein. Balz Herter findet jedoch, dass die Fraktion «in 98 Prozent der Fälle» der gleichen Meinung sei, die Grundeinstellung sei die selbe.

Wenn man bezüglich der Grundeinstellung genauer nachfragt, ist von einer «bürgerlichen Partei mit sozialem Gewissen» die Rede. Auch die Suche nach Kompromissen, die Konsensfähigkeit wird hervorgehoben. Diese brauche es, um zwischen rechts und links zu vermitteln, sagt Beatrice Isler. Kompromisse über Inhalte stellen, heisst es von anderen. 

Grosse Erfolge kann mit dieser Konsenspolitik in den vergangenen Jahren auch die GLP erzielen, bei den kantonalen Wahlen in Zürich und Baselland zählt sie ebenfalls zu den Gewinner*innen. Eng wird es in der Mitte dadurch aber nicht, denn trotz des Namenswechsels politisert «Die Mitte» zunehmend weiter rechts der Mitte, wie das Grossratsrating zeigt. Die wahre Mitte ist demnach die GLP.

Das Grossrats-Rating 2012 bis 2022, erstellt von Sotomo im Auftrag von Bajour.
Die Mitte gibt es nicht

Noch nie seit Einführung der elektronischen Abstimmungsanlage war die Mitte-EVP-Fraktion im Grossen Rat so «unmittig» wie jetzt. Das geht aus dem Grossrats-Rating hervor, das die Forschungsstelle Sotomo für Bajour erstellt hat. Das Verfahren wurde für den amerikanischen Kongress entwickelt und wurde auch schon zur Auswertung von National- und Ständerats-Stimmverhalten verwendet.

Hier geht's zum kompletten Rating

Umsomehr ist die Mitte aber eine dankbare Partnerin für die restlichen bürgerlichen Parteien: Dass sie im Gegensatz zu LDP und FDP mehr um den Mittelstand wirbt  und auch soziale Themen einbringt, stärkt das bürgerliche Lager insgesamt, sagt ein bürgerlicher Parlamentarier. Denn: In Wirtschafts- und Finanzfragen sind sie auf Linie und können Mehrheiten verschaffen.

Ist die Mitte also nur Juniorpartnerin der LDP? Balz Herter, Cousin von LDP-Regierungsrätin Stephanie Eymann, weist das zurück. Er ist überzeugt von der Mitte und ihrer Botschaft für die Entlastung des Mittelstands – diesen als Alleinstellungsmerkmal zu kommunizieren, gelinge bislang auch, findet er. Beatrice Isler sagt, man habe es mit den eigenen Inhalten schwer bei den Medien, die viel mehr an extremen Positionen interessiert seien: «Konsens ist nicht sexy.»

Dennoch: Die Erfolge der Partei in den vergangenen Jahren halten sich in Grenzen – oder zumindest die Wahrnehmung dieser Erfolge. Die Fraktion falle im Parlament nicht gross auf, sagt ein Grossrat, der schon lange dabei ist. Und hinter vorgehaltener Hand hört man an mancher Stelle auch aus der eigenen Partei, dass manche Mitglieder sich noch zu wenig einbringen.

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«Konsens ist nicht sexy.»

– Beatrice Isler, Präsidentin Mitte-Frauen und ehemalige Grossrätin

Einen grossen Coup aus der jüngeren Vergangenheit können dann dennoch alle nennen: Die Aufnahme der Krankenkassenprämien in das Steuerpaket, über das am 12. März abgestimmt wird. Das Steuerpaket ist zum ersten Mal seit langem ein Mobilisierungsmoment für die Basler Mitte. 

Auch das Narrativ vom 30-jährigen Nachwuchstalent Patrick Huber wird in diesem Zusammenhang gerne bedient: Als Riehener Gemeinderat brachte er die Gemeindeinitiative «Entlastung für Familien» ein, die letztlich den Weg ebnete, dass Familien mit Kindern im Steuerpaket mehr berücksichtigt wurden. 

Kann die Partei diese Erfolge für den Nationalratswahlkampf inszenieren? Oder «schwimmt sie einfach mit im bürgerlichen Strom», wie ein Grossrat aus einer anderen Partei sagt? Die Partei will am 20. März über ihre Kandidierenden bestimmen, die Listenverbindung mit LDP, FDP, GLP und EVP steht quasi fest. Auch dass Balz Herter antreten wird, der im Kleinbasel bestens vernetzt ist, ist kein Geheimnis.

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