Bitte irgendwas, das schnell Serotonin ausschüttet

Nach vier Monaten Shutdown kann unser Julius endlich wieder ins Theater. Doch bei der Oper «Intermezzo» ist der Drang gross, ständig auf's Handy zu schauen.

Oper von Richard Strauss, Inszenierung von Herbert Fritsch
Ein puppenhaftes Bühnenbild: «Intermezzo» im Theater Basel. (Bild: Thomas Aurin)

Es ist beinahe unwirklich, hier zu sein. Nach mehr als vier Monaten Zwangspause hat das Theater Basel endlich wieder seine Türen geöffnet. Auf dem Programm steht die Oper «Intermezzo» von Richard Strauss. Es kribbelt in meinem Bauch. Doch im Kopf ist vieles anders.

Meine Konzentrationsfähigkeit zum Beispiel hat in den letzten Monaten offenbar Diät gemacht: Während ich vor der Pandemie problemlos zehnstündige Theatermarathons mitmachen konnte, will ich nun alle zehn Minuten mein Handy checken. Instagram, Tiktok, Twitter – irgendwas, das schnell Serotonin ausschüttet. 

Der Saal ist gespenstisch leer. Die Grosse Bühne ist ja eigentlich auf über 880 Menschen ausgelegt, doch rein dürfen derzeit maximal fünfzig. Theaterintendant Benedikt von Peter hat, auch das ist aussergewöhnlich, jede*n von uns am Eingang einzeln begrüsst.

Bühne im Barbiestyle

Der Grossteil der fünfzig Tickets war für das Abonnementspublikum reserviert. Verständlich, haben doch die meisten Abonnent*innen dem Theater die Stange gehalten und auf Rückzahlungen verzichtet. In den Vorverkauf gingen lediglich zehn Tickets. 

Wir Pressevertreter*innen seien heute ein bedeutender Teil des Publikums, sagt von Peter, wir sollten doch laut mitklatschen und erst hinterher schreiben, was wir denken. Mal schauen.

Als der Vorhang aufgeht, fällt sofort das flashende Bühnenbild auf: eine grosse blaue Fläche, in der Mitte ein gelber Kreis und daneben steht als einziges Bühnenbild ein quietschpinker Flügel mit Hocker. Barbiestyle. Darüber hängt ein riesige Schirmlampe, die je nach Einstellung die Farben der Bühne James-Turrell-artig verändert. 

Oper von Richard Strauss, Inszenierung von Herbert Fritsch
Die grosse Schirmlampe bewegt sich und ändert die Farbe. (Bild: Thomas Aurin)

Die Handlung der Oper ist rasch erzählt: Herr und Frau Hofkapellmeister von Storch liegen im Clinch. Er, bekannter Komponist und Dirigent, ist vertieft in seine Arbeit. Sie, Ehefrau Christine, fühlt sich und ihre (Haus-)Arbeit nicht genügend anerkannt. Nachdem der Ehemann abgereist ist, trifft sie beim Schlittschuhlaufen den jungen Baron Lummer.

Die beiden kommen sich näher, er will aber eigentlich nur an ihr Geld. Als dann ein an Herrn von Storch adressierter Brief auftaucht von einer mutmasslichen Dirne, nehmen die Ehe-Streitigkeiten ihren Lauf.

Uraufgeführt in Dresden 1924, schrieb der Komponist Richard Strauss diese komische Oper auf Grundlage seiner eigenen Ehe und einer ähnlichen, tatsächlich erfolgten Begebenheit. Obwohl sie in den Jahren danach viel gezeigt wurde, wird sie heute nur noch selten gespielt.  

Verpasste Gelegenheit

Im Grunde passt das Stück perfekt zu den letzten Monaten: Das Gefühl der häuslichen Enge haben wir alle erlebt. Es gäbe viele brandaktuelle Themen, die sich hier verarbeiten liessen: den Wert der Hausarbeit, den Anstieg der häuslichen Gewalt oder die prekäre Situation in Familien mit geringem Einkommen.

Doch leider wird von keiner dieser Vorlagen Gebrauch gemacht, auch nicht auf Metaebene. Der Regisseur Herbert Fritsch, der als einer der bedeutendsten Regisseur*innen im deutschsprachigen Theater gilt, setzt lieber auf Überzeichnung: Bühne und Kostüme sind grell und auch das Schauspiel der Sänger*innen ist puppenhaft.

Aber diese ständige Karikierung wirkt belanglos – und wird deswegen bald langweilig. Je länger das so geht, desto stärker spüre ich die Umrisse meines Handys in der Hosentasche. Doch ich lasse es sein. Wegen der Musik.

open culture
Theater, Kino, Konzerte?
Wir sagen dir, was in Basel los ist.

Das Sinfonieorchester Basel und das überzeugende Ensemble retten das Stück. Allen vorweg glänzt Flurina Stucki in der Hauptrolle der Frau Hofkapellmeisterin Christine von Storch. Im Orchester, geleitet von Clemens Heil, haben die hohen Holzbläser*innen (das sind Klarinette und Oboe) zwar zwischenzeitlich Intonationsprobleme, doch die werden von den starken Blechbläser*innen hinweggefegt. Und für diese Fassung wurde die Anzahl Violinen halbiert, wodurch das Klangbild an manchen Stellen äusserst fein und klar wird.

Was bleibt? Auch wenn die Inszenierung nicht überzeugte – alleine der Moment, wieder live und nah Theater, beziehungsweise Oper zu erleben, war es allemal wert. Dieses Gefühl lässt sich eben doch nicht ersetzen.

All das schwingt mit, als sich das Publikum (inklusive mir) am Ende der drei Stunden an den Wunsch von Benedikt von Peter hält – und lange und freigiebig applaudiert.

3_GIF
Live ist anders. Live ist geil. (Bild: Julius E. O. Fintelmann)

__________

«Intermezzo»: Theater Basel, Grosse Bühne

Weitere Spieldaten: 27.04. / 29.4. / 02.05. / 09.05. / 14.05. / 15.05. / 19.05. / 21.05.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Nicht benannt-2

Ina Bullwinkel am 20. November 2023

Wie sieht eine richtige Gesinnung aus?

Wenn einige Sätze in einem offenen Brief bereits als gesetzte Meinung eingestuft werden und auf ihnen basierend die Karriere einer Person infrage gestellt wird, ist das ein Armutszeugnis der demokratischen Debatte. Ein Kurzkommentar von Bajour-Co-Chefredaktorin Ina Bullwinkel zur Kontroverse um Mohamed Almusibli

Weiterlesen
BuchBasel

Valerie Wendenburg am 20. November 2023

«Literatur ist Empathie in Buchstaben»

Basel stand am Wochenende ganz im Zeichen der Literatur. Die Buch Basel unter dem Motto «Ich–Du–Wir» zog zahlreiche grosse und kleine Buchbegeisterte an. Einer der Höhepunkte war die Verleihung des Schweizer Buchpreises an Christian Haller.

Weiterlesen
Mohamed Almusibli

Andrea Fopp,Valerie Wendenburg am 17. November 2023

Künstler*innen sorgen sich um Meinungsfreiheit

Nach der Berichterstattung über den designierten Direktor der Kunsthalle haben über 2000 Künstler*innen einen Solidaritätsbrief unterschrieben. Sie sorgen sich um die Meinungsfreiheit. Und Arbeitsrechtler Thomas Geiser stuft die Aussagen von Regierungspräsident Beat Jans als «heikel» ein.

Weiterlesen
Das Leben ist unaufhaltsam, Schauspiel, Theater Basel, November 2023, Foto Lucia Hunziker

Felix Schneider am 17. November 2023

Kaffee oder Sterben

Im ruhigen Basel ist die Realität streng getrennt vom Computerspiel. Was aber, wenn die Kriege näher kommen? Die ukrainische Autorin Natalia Blok zeigt in ihrem Stück «Das Leben ist unaufhaltsam» junge Menschen in Cherson, im Krieg, unter russischer Besatzung. Eine Rezension von Felix Schneider.

Weiterlesen

Kommentare