Mehr Koks- als Tramlinien: Basler*innen koksen Rekordmengen (und wieso man das überhaupt wissen kann)

Kleinste Rückstände im Abwasser zeigen: Der Konsum von illegalen Substanzen in Basel wächst seit 2012 stetig. Mit einer grossen Ausnahme: Während der Baselworld 2015 ist der Kokain-Konsum eingebrochen.

Christoph Ort und seine Kollegen des Wasserforschungsinstituts Eawag in Dübendorf nehmen es genau. Sehr genau sogar. Ihre Analysegeräte sind so empfindlich, dass sie einen Würfelzucker, aufgelöst im Wasser einer Million voll gefüllter Badewannen, nachweisen könnten. Doch natürlich gehen sie damit nicht auf Zuckersuche, sondern auf die Suche nach Umweltgiften. Und manchmal auch auf Drogen und deren Abbauprodukte.

Seit 2011 wird, in mittlerweile 27 Ländern, jährlich das Abwasser nach Drogenrückständen untersucht. So auch in Basel. Und die Werte für Kokain, Amphetamin, Methamphetamin und MDMA zeigen alle in eine Richtung: nach oben. So wurden 2012 Kokain-Abbauprodukte nachgewiesen, die auf den Konsum von etwas unter 300 Milligramm pro Tausend Basler*innen und Tag schliessen lassen. 2018 hat sich dieser Wert verdoppelt. Wobei nur Kokain gemessen wird, das tatsächlich konsumiert worden ist (und nicht etwa in grossen Mengen wegen einer Razzia die Toilette heruntergespült wurde). Ort erklärt: "Wir messen das Benzoylecgonine und das wird hauptsächlich als Stoffwechselprodukt nach dem Konsum von Kokain ausgeschieden. Nur ganz kleine Anteile könnten von weggeworfenem Kokain im Kanal stammen, aber das sähe man bei einem abnormal hohen Kokain zu Benzoylecgonine Verhältnis."

Wenn in einer Stadt gemessen wird, dann immer eine ganze Woche lang. Deshalb ist auch ein Rückschluss über die zeitlichen Konsumgewohnheiten möglich. Die Zahlen zeigen europaweit, dass der Konsum am Wochenende höher ist, der Unterschied zu den Wochentagen aber schwindet. Was auch für Basel gilt. Von Dienstag bis Donnerstag - so definieren die Forscher die "vom Wochenende unbeeinflussten Tage" - entspricht der Kokainkonsum 2018 mit 530mg pro Tag pro 1000 Personen praktisch demjenigen am Wochenende (626 mg/Tag/1000 Personen). Einzig bei MDMA (Ecstasy) gibt es einen deutlichen Wochenend-Peak (fünffache Menge wie unter der Woche).

Wobei der Zürich-Peak noch höher ist. In der Partymetropole der Schweiz messen die Eawag-Forscher an Sonntagen fast die zehnfache Menge im Abwasser. Dafür dürfte auch der oder die eine oder andere Basler Nachschwärmer*in verantwortlich sein, denn wer in Zürich eine Pille schluckt und aufs WC geht, der hinterlässt seine Drogen-Spuren an der Limmat. Und selbst wenn er/sie* am Samstag noch vor Mitternacht wieder zurück nach Basel fährt, schlägt der Konsum erst am Sonntag zu Buche - weil das Wässerchen auf seinem Gang durch die Kanalisation einige Stunden braucht und erst bei der Kläranlage angekommen registriert wird.

Eine Luxusmesse ohne Stoff?

Eine unerklärliche Anomalie weisen die jährlichen Eawag-Messungen des Basler Abwassers auf: 2015 waren die Kokain-Werte in allen Proben massiv tiefer als in anderen Jahren (siehe Grafik ganz oben). Ort sagt: "Wir haben keine Hinweise, dass mit der Messung etwas nicht stimmen könnte. Dafür spricht auch, dass die Werte an allen Tagen viel tiefer waren als in anderen Jahren. An drei Tagen waren dafür die Werte von Methamphetaminen ausserordentlich hoch." Er sei Spezialist für die Quantifizierung von Stoffen im Abwassersystem, sozialwissenschaftliche oder gar gesundheitsrelevanten Aussagen wie «Basel hat ein Kokainproblem», dürfe man von ihm nicht erwarten. Sicher ist, dass die Eawag-Forscher 2015 keine "normale" Woche in Basel gewählt hatten. Im Messzeitraum vom 18. bis 24. März fand die Uhren- und Schmuckmesse Baselworld statt (19. bis 26. März).

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Bei Bajour als: Frühaufsteher, Mit-Erfinder des Basel Briefings und irgendwas mit Technik. Hier weil: Ich habe zehn Jahre bei Tageszeitungen beim Schrumpfen mitgemacht. Bei Bajour gibt es die Möglichkeit, etwas zum Fliegen zu bringen. Mit einem motivierten Team und einem guten Ansatz, wie Journalismus auch in Zukunft funktionieren könnte.

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Kann nicht: Gesichter merken (also nicht nur so ein bisschen nicht, sondern wirklich ganz ganz schlecht). Liebt an Basel: Mikroklima, Rhein, Menschen.

Vermisst in Basel: See, Berge.

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