Deportiert und umgebracht

Während des zweiten Weltkriegs suchten verfolgte Jüd*innen aus Deutschland in Basel Schutz. Die Schweiz schickte viele von ihnen zurück in den sicheren Tod, darunter auch Anna Maria Böhringer, Kurt Preuss, Gaston Dreher und Armin Weiss.

Steinsetzung fuer Walter Koelliker (1898, aktiv im antifaschistischen Widerstand, ermordet 1938 im KZ Sachsenhausen) in Zuerich, am Montag, 21. Juni 2021. Am Montag hat der Verein Stolpersteine Schweiz in Zuerich im Rahmen einer kleinen Zeremonie vier weitere Steine an ehemaligen Wohnorten von Opfern des Nationalsozialismus gesetzt. Am Gedenkanlass anwesend waren Angehoerige der Opfer, eine Schulklasse sowie Mitglieder und Freunde des Vereins.
Was in Zürich schon im Juni geschehen ist, wird nun auch in Basel Tatsache: Stolpersteine für die Opfer des Nationalsozialismus, respektive der Schweizer Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg. (Bild: Keystone / Walter Bieri)

Am 2. November werden nach Zürich auch in Basel die ersten Stolpersteine gesetzt. Mit der Aktion soll an an jene erinnert werden, die von den Schweizer Behörden während des Zweiten Weltkriegs im vollen Bewusstsein, was mit ihnen geschehen wird, nach Nazi-Deutschland ausgeliefert wurden.

Das genaue Programm und Hintergründe zum Verein Stolpersteine Schweiz gibt es auf der offiziellen Homepage.

Am Grenzübergang Riehen-Lörrach wird eine Stolperschwelle eingelassen, die an alle zurückgewiesenen Geflüchtete erinnern soll. Ausserdem erinnern künftig vier in den Boden eingelassene Messingplaketten an folgende Menschen:

  • Anna Maria Böhringer. In der Schweiz geboren, wurde sie von den Behörden als «liederlich» abgestempelt, wie Historiker Georg Kreis im Bajour-Interview erzählt. Zunächst besass sie die Schweizer Staatsbürgerschaft, heiratete jedoch einen Deutschen und verlor sie dadurch. Kurz nach Kriegsausbruch suchte die 54-Jährige Zuflucht in der Schweiz und stellte einen Antrag auf Wiedereinbürgerung. Dieser wurde abgelehnt, weil die Schweizer Behörden fanden, dass sie ihr Schicksal selbst verdient hatte. 1939 wurde sie nach Lörrach ausgeschafft. Versuche ihrer Tochter, sie wieder in die Schweiz zu holen, scheiterten, sodass sie 1945 im Konzentrationslager Ravensbrück in Brandenburg umgebracht wurde.
  • Kurt Preuss. Als Jude musste er 1938 mit seiner Freundin Gertrud Lüttich aus Deutschland fliehen. Sie kamen in die Schweiz, wo sie unerwünscht waren, mit dem damals üblichen Hinweis auf «Überfremdung» und «Belastung des Arbeitsmarkts», wie es in einem Artikel in der badischen Zeitung «Der Sonntag» vom 30. April 2017 heisst. Preuss und Lüttich werden zweimal ausgewiesen, kehren aber immer wieder nach Basel zurück, werden verhaftet. Preuss wird zunächst nicht den deutschen Behörden überstellt, sondern «schwarz» über die Grenze gebracht. Da er aber nervlich und körperlich am Ende ist, sieht er keine Chance, in Deutschland zu überleben und geht wieder nach Basel. Die Fremdenpolizei hat kein Erbarmen für Preuss und sein verzweifeltes Bittgesuch. Er wird am 5. März 1939 den deutschen Behörden übergeben. Preuss stirbt am 8. Oktober 1941 im Konzentrationslager Gross-Rosen im heutigen Polen. Neun Jahre später hebt die Fremdenpolizei die Einreisesperre auf. 
  • Gaston Dreher. Französischer Staatsbürger, aber in Basel aufgewachsen, wurde er schon in jungen Jahren kriminell. Er wurde unter Vormundschaft gestellt und in der Folge in Heimen untergebracht; erst in der Schweiz, dann in Frankreich. 1931 wurde er für zehn Jahre aus der Schweiz ausgewiesen, weil er illegal über die Grenze kam, um seine Mutter in Basel zu besuchen. Mehrere Male wanderte er wegen Diebstahl ins Gefängnis. Verurteilt wurde er in Paris, Mulhouse und Basel, wo er sich verbotenerweise immer mal wieder aufhielt. Als Nazi-Deutschland Frankreich besetzte und er als Jude um sein Leben fürchten musste, floh er nach Basel zu seiner Schwester Suzette und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde abgewiesen. Am 4. Dezember 1943 wurde er ins Internierungslager Drancy in Paris eingeliefert, von wo er nach Auschwitz deportiert und am 21. April 1944 in den Gaskammern ermordet wurde. Ausführlichere Informationen gibt es hier.
  • Armin Weiss. Am 8. Dezember 1939 wurde der deutsche Jude Armin Weiss, der im Juli 1938 nach Basel geflüchtet war, verhaftet, weil er Bleistifte zum Kauf angeboten hat, wie die «NZZ» in einem Artikel vom 2. September 2019 über die Schweizer Flüchtlingspolitik jener Zeit schreibt. Damit verstiess er gegen die fremdenpolizeilichen Vorschriften. In einer Arrestzelle beim Badischen Bahnhof wollte er sich das Leben nehmen. Der Versuch misslang. Weiss musste wegen «Verunreinigung des Arrestes» drei Franken zahlen, bevor ihn die Basler Polizei, um wieder einmal «ein Exempel zu statuieren», wie es hiess, an die deutschen Behörden in Lörrach auslieferte. Weiss wurde danach in einem KZ getötet.
Stolpersteine Zürich
Wie war das genau mit der Schweiz und dem Nationalsozialismus?

Das Projekt Stolpersteine erinnert europaweit an die Opfer des Nationalsozialismus. Auch aus der Schweiz sind Schicksale bekannt. Die ersten Stolpersteinen wurden in Zürich verlegt, jetzt folgen welche in Basel. Wir haben mit Historiker Georg Kreis über die Hintergründe und über Erinnerungskultur gesprochen.

Zum Interview
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Davor: diverse Chefjobs in den Medien

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Kann nicht: die Klappe halten

Liebt an Basel: den Rhein und das Leben darin und daran. Den Humor und die Menschen (die meisten). Die Fasnacht und den FCB (wird gerade auf die Probe gestellt). Die dauernden Grenzüberschreitungen. Und wenn ich mirs mal leisten kann: Tanja Grandits Küche

Vermisst in Basel: ein paar Begegnungen aus früheren Zeiten, die aufgrund der Distanzen nicht mehr so spontan möglich sind.

Interessenbindungen:

  • Inhaber (und einziger Angestellter) Texterei Sieber GmbH
  • Stiftungsrat Gottlieb und Hans Vogt Stiftung
  • Vorstand Kinderbüro Basel
  • Sonntagstalk-Moderator auf Telebasel.

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