Advent, Advent, ein Pyro brennt

Ausbeutung, Korruption, Tote beim Bau der Stadien – dieses Jahr müssen sogar wir eingefleischten Fussballfans die WM in Katar boykottieren. Ach, früher war doch alles besser... Oder? Die Sicht eines jungen Fussballfans.

WM Katar
Um den Pokal wird gespielt (Bild: Unsplash / Collage: Ernst Field)

Ab dem 20. November kicken die Nationalmannschaften der Männer einen Ball durch die islamische Monarchie Katar. Ein Skandal ist es, dass diese WM so stattfindet. Seit der Vergabe des Turniers an den Golfstaat sind laut Amnesty 15’000 Gastarbeiter*innen gestorben, auch seien Löhne nicht gezahlt und Pässe der Gastarbeiter*innen eingezogen worden. Weiter heisst es, Angestellte seien (sexueller) Gewalt ausgesetzt, gegen die man nicht vorgehen könne. Der Botschafter Katars dementierte in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen die Anschuldigungen, die Zahl der Toten sei falsch und die Arbeitsbedingungen hätten sich verbessert.

Auch hierzulande ist diese Weltmeisterschaft aus Fansicht ein Desaster. Glühwein trinken beim Public-Viewing, weil der Sommer in Katar zu heiss ist? Was soll das? Selbst die mitgereisten Fussball-Freaks können das beliebteste Sportevent nicht wie sonst geniessen. Da im Golfstaat die Scharia die Grundlage für das Rechtssystem bildet, sind sexuelle Handlung ausserhalb der Ehe und zwischen gleichen Geschlechtern verboten. Auch wenn die Kataris darauf bestehen, alle seien willkommen, gibt es Berichten zufolge Hotels, die keine gleichgeschlechtlichen Paare aufnehmen.

Es geht ums Geld

Eine Fussball-WM ist teuer, das gaben die letzten vier Gastgeber für den Event aus:

  • Südafrika 2010, 3,28 Mrd Euro
  • Brasilien 2014, 8,10 Mrd Euro
  • Russland 2018, 21 Mrd Euro
  • Katar 2022 146 Mrd Euro

Ob die Länder mit der WM-Austragung wirtschaftlichen Gewinn schlagen, ist unklar. Dafür ist sie eine gute Chance, die Bevölkerung mit Stolz zu erfüllen und sein Image zu verbessern, oder so.

Es kann doch nicht sein, dass ich als Fussballfan jetzt eine WM boykottieren muss, weil die WM an ein so ungeeignetes Land vergeben wurde. Aber was bleibt mir übrig in so einer Situation? Eine WM unter diesen Voraussetzungen kann man doch nicht unterstützen. Wisst ihr noch die WM vor vier Jahren? Ach das waren noch Zeiten…

2018: Letztes Mal war alles besser?

Ach, wie schön war doch so eine Weltmeisterschaft im Sommer. Für negative Schlagzeilen sorgten einzig die Schweizer Spieler, als sie den Doppeladler zeigten. Wo war diese WM-Ausgabe schon wieder? In Russland? Ouh…

  • Jetzt erinnere ich mich. Auch in Russland wurde von schlechten Arbeitsbedingungen und Toten bei den Bauarbeiten für die Stadien berichtet. Die FIFA hat Menschenrechtsverletzungen eingeräumt.
  • Auch in Russland warnen Menschenrechtsorganistionen vor Diskriminierung von Homosexuellen, es gibt sogar ein Gesetz gegen «homosexuelle Propaganda».
  • Einem deutschen Journalisten, der über Doping in Russland schrieb, wurde ein Visa zuerst verweigert. Später war man doch bereit, ihm ein Visum zu geben, als Ausnahme, und man wolle ihn von einem Ermittlungskomitee befragen lassen.

Aber wenigstens gab es doch eine schöne Underdog-Geschichte, als es die russische Nationalmannschaft ins Viertelfinal schaffte. Was hör ich da, Doping-Verdacht? Ach was, laut FIFA war alles in Ordnung.

Stadion Brasilien
Brasilien, schön ist's (Bild: Pixabay)

2014: Eine Klatsche für den Gastgeber

Dann gehen wir halt nochmal vier Jahre zurück. An die Weltmeisterschaft in Brasilien habe ich als deutscher Doppelbürger wundervolle Erinnerungen (7:1, Weltmeister, diesdas). Der fünffache Weltmeister Brasilien kann doch nur ein ausserordentlicher Gastgeber für dieses Spektakel gewesen sein. Oder?

  • Auch schon vor acht Jahren gab es auf den WM-Baustellen Tote.
  • Vor dem Turnier wurden Vorwürfe laut, dass armutsbetroffene Menschen Zwangsumsiedlungen unterlagen, um diese von den Sportarenen zu entfernen. Die Behörden meinten, das sei alles rechtens.
  • Auch 2014 war das Thema der Sommerhitze schon ein Diskussionspunkt. Deshalb wurden zum ersten Mal Trinkpausen für die Spieler eingeführt.

Demfall lief auch hier nicht alles rund, schauen wir also noch einmal weiter zurück. Wehe mir, wird diese auch noch verdorben.

Südafrika
Now wave your flag (Bild: unsplash)

2010: This Time for Africa

Die erste Fussball-WM, an die ich mich erinnern kann, war jene in Südafrika. Die Songtexte von Wavin’ Flag und Waka Waka kann ich immer noch ohne Probleme mitsingen. Als jemand mit südafrikanischen Wurzeln denke ich oft: «Take me back» und höre Vuvuzelas in den Ohren. Trotzdem gab es Tiefpunkte, wie das Handspiel von Luis Suarez im Viertelfinal gegen Ghana, durch das der erste Halbfinal-Eintritt einer afrikanischen Mannschaft an einer Fussball-WM zugrunde ging. Dieses Märchen wäre ein krönender Abschluss eines so wunderbaren Turniers gewesen. Im Nachhinein lässt sich auch über das hinwegsehen, schliesslich gab es sonst keine Probleme, oder?

  • Ah doch. In Südafrika wurdem temporäre Armensiedlungen eingerichtet, in denen es laut Augenzeugenberichten zu Verschleppungen und Gewalt kam. Die lokalen Behörden dementierten dies.
  • Im Vorlauf zur WM gab es in Südafrika Streiks, für bessere Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter*innen. Während des Turniers streikten auch Busfahrer*innen und Sicherheitspersonal in den Stadien, bei deren Protesten wurden von der Polizei gemäss Medienberichten Tränengas eingesetzt.

Na toll… Vielleicht hätten wir die Austragungsorte der Fussball-Weltmeisterschaft schon früher hinterfragen sollen. Wisst ihr noch, als Korruptionsvorwürfe das einzige Schlimme an den Turnieren waren? Good old Times! Aber halt before my time. Zum Glück ist Fussball nicht politisch.

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