«Ich fluche gerne derb und viel, wenn der FCB spielt – aber macht mich das jetzt etwa zu einem schlechteren Wirt einer Fussballkulturkneipe?»

Didi-Kolumnist Raphael Pfister leckt nach der schmachvollen Niederlage gegen Bern die geschlagenen Wunden. Was für ein Scheissspiel. Ein Text über unvermeidbare Schmährufe und die Grenzen des Hasses im Fussball.

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Hat diese formidable Illustration zu seinem Wut-Text gleich selber hingezaubert: Rafi Pfister, Didi-Wirt und Bolzplatz-Spielmacher.

Da kurbelt es wieder im Hirn und Buchstabe um Buchstabe setzt sich zusammen bis zwischen emotionaler Schaltzentrale und Sprechorgan ein Wort entsteht. Und dann ein Zweites, raus damit!

«*ç“E1SS YB!» 

Menschenskind, Rafi!

Ich habe am vergangenen Wochenende viel geflucht. Aber über das Spiel gegen YB will ich lieber nicht reden.

Umso besser kann ich mich dafür an die Partie vom 1. Dezember 2019 erinnern. Was war DAS für ein Spiel des FCB. Endlich! Das 3:0 gegen YB war nach all den Wochen als Tabellenzweiter wie süsser Balsam für meine Seele. Nach Spielschluss drehte sich die Basler Mannschaft in Richtung der YB-Fans und klatschte im Einklang mit der Muttenzerkurve. Und jedes einzelne «FCB», das den YB-Fans dabei entgegendröhnte, wirkte auf mich wie ein Aufputschmittel. 

Ich spürte, wie meine Euphorie stieg. Dieser Sieg sollte auf den leiderprobten Fan eigentlich wie eine Katharsis wirken. Aber statt Erleichterung platzte aus mir heraus: «*ç“E1SS YB!»

Eins vorneweg: Ich kenne einige YB-Fans, sie sind mir sehr sympathisch. Aber in diesem Moment erschien mir der derbe Ausruf in Richtung Berner Kurve einfach sehr angebracht. Es war die Kulmination einer 100-minütigen Ekstase, Spielzeit plus die Ehrenrunde der Spieler, die sich in einem winzigen Augenblick entlud. Aber, frage ich mich, müsste man sich als Wirt einer Fussballkulturbar nicht etwas gehobener artikulieren, um der Kultur im Namen gerecht zu werden?

Andererseits: Was soll das heissen? Ist Fluchen denn keine Kultur? Ist Fluchen immer gleich Hass und ist Hass immer schlecht? 

Hass am Tresen

Vor drei Jahren kam ein Typ mit Rucksack ins Didi und trat an den Tresen: «Endlich habe ich es mal in diese Kneipe geschafft!», sagte er. Er ist der erste Gast, also kommen wir ins Gespräch und aus irgendeinem Grund auf politische Themen zu sprechen. Normalerweise versuche ich das zu vermeiden. Wirtsein ist wie Lehrersein, da bleibt man am besten neutral, hat man mir beigebracht.

Das Thema war düster. Es ging um die Terrorattacke auf der London Bridge, die soeben stattgefunden hatte. «Weisst du, früher war ich weltoffener, aber das hat sich geändert», sagte er. «Ich habe eine Tochter. Wenn ich mir vorstelle, dass sie von einem  fanatischen Islamisten überfahren und getötet wird, wie das jetzt auf der London Bridge passiert ist, dann drehe ich durch. Ich würde mir sofort eine Waffe greifen und zur nächsten Moschee fahren.»

Was sagt man da? 

Einen Moment überlegte ich mir ernsthaft, zu behaupten, ich sei Konvertit. Wobei, ich kannte den Typen mit dem Rucksack kaum, ich wollte lieber kein Risiko eingehen.

Ich entscheid mich also für eine andere Antwort und sagte, dass doch die Menschen in irgendeiner Moschee nichts mit dieser schrecklichen Tat zu tun hätten, mehr noch, dass sie derlei Attacken zutiefst verabscheuten und die von ihm fantasierte Reaktion nur zu noch mehr Gewalt führen würden.

Er sagte, das sei ihm schon klar. Er wisse auch nicht, wie er auf diese Aussage gekommen sei. 

Aber für mich war das trotzdem crazy. Irgendeine unbekannte Person, die mir über den Tresen hinweg heftigste Gewaltphantasien offenbart. Für einen kleinen Moment war da purer Hass zu spüren. Hass, der allerdings mit Fussball wenig am Hut hatte. 

«Ich bin kein Kind verbaler Traurigkeit, aber den Tod wünsche ich niemandem, das geht mir zu weit.»
Raphael Pfister, leidenschaftlicher Tribünen-Flucher

Das war natürlich ein extremes Beispiel, aber ich erinnere mich an viele Tresen-Gespräch über Hass und Sprache im Fussball. Ein kontroverser Klassiker ist die Zeile «Tod und Hass dem FCZ», darüber musste ich im Didi immer wieder streiten.

Wir konnten uns darauf einigen, dass verbale Entgleisungen vorkommen rund um den Fussball, aber den Tod? Das wünsche ich niemandem. Obwohl ich grundsätzlich kein Kind verbaler Traurigkeit bin. 

Um so zutreffender finde ich, was Christoph Biermann, Autor und Chefredakteur des legendären Fussballmagazins 11 Freunde in der Spezialausgabe über Liebe und Hass im Fussball schrieb:

«Mit dem Hass im Fussball ist es letztlich so, wie mit der Liebe im Fussball. Beides ist nur dann gut und gesund, wenn die Liebenden und Hassenden in der Lage sind, ihre Gefühlsaufwallungen wieder zu relativieren. Es ist natürlich wunderbar und grossartig Fussball zu lieben und seinen Verein. Es ist weiterhin auch erlaubt, die anderen zu hassen, vor allem den grossen Rivalen des eigenen Vereins. Aber zugleich müssen wir wissen, dass das ein riesengrosser Quatsch ist. Denn genau das ist ja gerade das Tolle daran.»

Ich gebe Biermann Recht: Fluchen ist einfach schön, was raus muss, muss raus. Wichtig ist, dass man dabei nicht vergisst, ein bisschen über sich selbst zu lachen. 

__________

Fussnote: Liebe YB-Fans. Ihr seid bei uns immer willkommen, auch an Spielen zwischen YB und dem FCB. Im Didi gibt es allerdings ein ungeschriebenes Gesetz für das Barpersonal: Wir sind immer objektiv hinter der Bar – ausser während den 90 Minuten eines FCB-Spiels.

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Sieht nett aus, aber kann auch anders: Bolzplatz-Kolumnist Raphael Pfister
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Raphael Pfister (30) ist Geschäftsführer und Wirt des Didi Offensiv und macht neben dem Job im Didi eine Ausbildung zum Lehrer. Im Oktober 2019 konnte das Didi bereits seinen 5. Geburtstag feiern. Benannt ist die Beiz nach Claude «Didi» Andrey, dem FCB-Aufstiegstrainer von 1994.

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